Sonntag, 26. Januar 2020

Der Tote in unserem Garten


Die Sonne schien und lockte Johanna auf den Balkon hinaus. Sie erfreute sich an der Bepflanzung ihres Blumenkastens, drei strahlend gelbe Stiefmütterchen eingebettet in dicke Tannenzweige. Sah hübsch aus und war preiswert gewesen. Sie blickte hinunter in den Garten, der das Haus umgab und überprüfte dabei, was ihre Nachbarn auf den Balkonen gepflanzt hatten: Längst nicht so schlicht und schön wie bei ihr.
Unten im Garten hatte der Gärtner schon wieder etwas herumliegen lassen, einen Sack Erde wahrscheinlich, sehr groß. Direkt unter der Weide. Zu sehen war er nicht. Man sah ihn nur zusammen mit seiner Motorkarre, das heißt, er saß drauf und verärgerte alle Nachbarn durch seinen Lärm. Jetzt war nichts zu hören. Sollte der Sack da über Nacht liegenbleiben?
Telefon im Wohnzimmer: Gerda. „Geh mal auf den Balkon und sieh dir das an, jetzt schlafen die Penner schon in unserem Garten.“
„Penner, in unserem Garten? Wie meinst du das?“
„Ja, geh mal raus und sieh es dir an, der Kerl liegt schon seit Stunden da.“
„Ach was, ich habe auch was gesehen, das ist ein Sack Erde, den der Dicke hat liegen lassen.“
„Meinst du? Ich halte das für einen Mann in einem braunen Mantel.“
Johanna strich ihre weißen Haare aus dem Gesicht, ging wieder auf den Balkon und guckte. Diesmal angestrengt. Der Sack oder der Penner hatte sich nicht bewegt. Mussten sie etwas tun?
„Gerda, ich erkenne ehrlich gesagt nicht, was das da unten ist, halte es immer noch für einen Sack mit Erde. Aber müssen wir nicht was unternehmen, wenn es wirklich ein Mensch ist?“
„Ach was, lass den Kerl ausschlafen, dann wird er schon wieder verschwinden.“
„Aber es wird gleich dunkel und es wird gleich kalt werden. Wenn dann etwas passiert, sind wir schuld, unterlassene Hilfeleistung nennt man das.“
„Wir müssen es ja niemand erzählen, dass wir was gesehen haben“, sagte Gerda und versetzte Johanna damit in Erstaunen. Gerda war doch immer sehr korrekt gewesen.  Nicht nur das, sie ließ auch anderen keine Unkorrektheiten durchgehen.  Und nun so etwas.
„Aber Gerda“, sagte sie nur, hatte eigentlich auch keine Lust, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie trennten sich, leichte Verstimmung auf beiden Seiten.

Johanna legte den Hörer auf, machte sich einen Becher Tee und wollte jetzt endlich ihr Buch hochnehmen und lesen. Aber. Aber ein Gedanke saß in ihrem Kopf: Und wenn es doch ein Mensch wäre, der da unter der Weide lag? Vielleicht. Vielleicht war das sogar eine Leiche. Hier stockte Johanna. Ließ ihren Thriller sinken, er fiel ihr vor die Füße. Warum las sie auch solche Sachen. Da passierten die unmöglichsten Dinge. Und kurbelten die Fantasie an. Sie ging noch einmal auf den Balkon: Der Sack lag noch da. Oder die Leiche. Ob sie hinuntergehen sollte um nachzusehen? Aber nein, es wurde schon dämmrig. Und sie war alt und ein bisschen wacklig auf den Beinen. Das war eine gute Entschuldigung. Und außerdem – wenn er sowieso schon tot war?

Der nächste Morgen war trüb, sehr trüb. Im Garten waren viele rotweiße Bänder gespannt, Menschen in Uniformen oder weißen Schutzanzügen hatten zu tun. Jetzt nahm Johanna ihren Gehstock, der im Schirmständer steckte, und ging hinunter. Sie musste Gewissheit haben, was da los war. Menschen standen herum, wussten vieles zu erzählen. Kinder hatten auf ihrem Schulweg einen Toten gefunden. Wer war das? Niemand wusste das. Der Mann war in den Graben gefallen – und gestorben. So erzählten es die Gaffer. Johanna schluckte. In ihrer Magengegend rumorte es, sie schluckte wieder und wieder. Sie – hätte – helfen – können. Er musste noch gelebt haben, war aufgestanden und dann in den Graben gefallen. Und sie hatte nichts getan. Aus Gleichgültigkeit. Sie wagte es nicht, sich umzusehen. Es war auch nicht mehr viel zu sehen. Die Leiche war abtransportiert worden.

Später am Tag gingen Polizeibeamte von Wohnung zu Wohnung und fragten, ob man irgendetwas gesehen hätte. Zu Johanna kam ein junger Beamter, der sich als Kommissar Lutz vorstellte. Johanna hatte sich inzwischen von ihren Gewissensbissen erholt und antwortete auf seine Fragen, ohne über die gestrigen Beobachtungen zu sprechen. Der Kommissar sprach von einem Toten, der im Graben gefunden worden war. Wie und wann er gestorben war, darüber sprach er natürlich nicht und Johanna hatte auch keine Lust zu fragen. Er bat sie, mit ihm auf den Balkon zu gehen, was sie auch tat. Er wollte ihr wohl beweisen, dass sie etwas hätte sehen müssen.
Johanna wagte es kaum, die Stelle unter der Weide zu suchen, auf der gestern der Mann gelegen hatte. Dieser Stelle näherte sich jetzt der dicke Gärtner mit seiner lauten Karre, stellte den Motor ab, stieg von der Karre, bückte sich - hob den Sack auf und verschwand.





Samstag, 4. Januar 2020

Das Mordkarussell

An mehreren Orten gelesen, zuletzt vor knapp zwei Jahren auf dem Grünen Sofa in Langenfeld

Das Mord-Karussell

„Mein Haus ist meine Burg“, zumindest sieht unseres aus einiger Entfernung so aus, war Ursulas Meinung. Jedenfalls so groß wie. Und seine Burg verlässt man nur im Notfall. Etwa wenn urplötzlich kein Kaffee mehr da ist. Oder Kaffeesahne. Warum sagt einem eigentlich niemand, dass nachgekauft werden muss. Vielleicht ist die Idee, die gesamte Küche digital aufzurüsten gar nicht so schlecht, smarthome sozusagen. Denk mal drüber nach, liebe Ursula. Ursula besaß einen Laptop und konnte ihn auch bedienen.
Aber jetzt erst einmal raus aus der Burg. Hinaus auf den Markt.
„Hallo Frau Baumberger, auch zum Einkaufen unterwegs?“
„Ja.“
Die war auch schon mal freundlicher.
Aber jetzt: „Haben Sie schon gehört?“, lässt sich Frau Baumberger dann doch zu einem Gespräch herbei.
„Gibt’s was Neues?“
„Herr Mansberg ist tot. Ermordet.“
„Waaas?“
„Ja, ermordet. Sagt jedenfalls Frau Wenig.“
„Kann man‘s denn glauben? War die Polizei da? Und wer war’s?“
„Sie stehen erst am Anfang mit ihren Ermittlungen.“
Diese Floskel kennt Ursula aus zahlreichen Fernseh-Krimis. Daher wird sie wohl auch Frau Baumberger haben, denkt Ursula.
„Sagt Frau Wenig?“
„Ja, die wohnt in der Nachbarwohnung und die Wände sind ziemlich dünn.“ Aha.
„Wann ist es denn passiert?“
„Vor drei Tagen.“
Das kann nicht sein, denkt Ursula, das hätte sie längst gehört. Es blieb so leicht nichts verborgen in der Seniorenresidenz. Erst recht nicht sowas. Da stimmte was nicht. Eine von beiden hatte eine zu lebhafte Fantasie, entweder die Wenig oder die Baumberger. Aber nur jetzt keine Zweifel zeigen, dann würde sie nicht weiterreden.
„War es Raubmord?“
„Wohl kaum, was war bei dem denn zu holen?“
„Na, wenn man ihn reden hört …“
„Ich weiß, Leitender Angestellter -  bei einer Bank. Bankdirektor.“
„Da kommt im Laufe des Lebens doch was zusammen.“
„Nicht, wenn man eine anspruchsvolle Frau hat.“
„Ja, kann sein, sie putzte sich gern heraus, immer etwas overdressed. Auch schon tot.“ Schweigeminute.
„Ich geh zu Edeka und Sie?“
„Ich muss erst noch zur Buchhandlung Weber, guten Einkauf.“



Ursula Beckstein musste natürlich auch zu Edeka, des Kaffees wegen. Und wen sieht sie da am Spirituosenstand: Herrn Mansberg. Wusste sie’s doch, die Todesnachricht war aus der Luft gegriffen. Aber vielleicht war was …
„Guten Tag, Herr Mansberg, geht’s gut, gibt’s was Neues?“
„Ja, weiß Gott! die Polizei war da.“ Ach.
„Was ist denn passiert?“
„Herr Obermeier soll ermordet worden sein.“
„Ermordet?“
„Ja. Tot. Erschlagen oder so.“
„Woher wissen Sie das denn?“
„Frau Wenig hat es mir gesagt, sie wohnt ja nebenan – und die Wände sind dünn.“ Aha.
„Wann ist denn das passiert?“
„Vorgestern. Ich selbst habe ja nichts mitbekommen, obwohl ich auf derselben Etage wohne. Das musste ich auch der Polizei sagen, die hat bei mir nachgefragt, ob ich etwas gehört oder gesehen hätte.    Was passiert war, haben sie mir natürlich nicht gesagt.“
„Wer mag denn wohl der Täter sein? Jemand aus dem Haus – oder aus der Verwandtschaft?“
„Es ist wohl noch nichts bekannt, die Polizei ermittelt in alle Richtungen.“
Auch den Spruch kannte Ursula aus den Fernsehkrimis.
Von wem stammte denn nun die Fehlinformation? Frau Wenig oder Frau Baumberger?
Herr Mansberg hatte eben verschämt sein Fläschchen Wodka zu allem anderen in den Wagen gepackt und ging Richtung Kasse. Da war nichts mehr zu holen.
Da – Frau Baumberger, immer noch beim Einkauf.
„Hallo Frau Baumberger, wissen Sie, wen ich eben getroffen habe?“
„Nee.“
„Herrn Mansberg.“
„Waaas?“
„Ja, quicklebendig. Wusste aber auch was von Polizei und Mord: Herr Obermaier. Übrigens auch ein Nachbar von Frau Wenig.“
„Sollte ich mich denn so verhört haben? Mansberg – Obermeier – nein, das kann nicht sein.“
„Außerdem soll es nicht vor drei Tagen, sondern vorgestern gewesen sein. Wie steht es eigentlich um die Gesundheit von Frau Wenig?“, fragte Ursula, diskret.
„Sie hat ihre Sinne durchaus beisammen – falls Sie auf so etwas anspielen.“


Die beiden Damen hatten ihre Einkäufe erledigt und machten sich auf den Rückweg zu ihrer Burg. In der Eingangshalle erwartete sie eine weitere Überraschung:
Herr Obermeier stand an der Rezeption und verhandelte über irgendetwas. Jetzt war es an Frau Baumberger, Nachforschungen anzustellen, schließlich war ihre Information – Mansberg. Auch wenn Ursula Beckstein behauptete, ihn gesehen zu haben …
„Herr Obermeier, lange nicht gesehen, alles in Ordnung?“
„Ja, natürlich, Frau Baumberger, und guten Tag Frau Beckstein. Gut eingekauft, die Damen?“ In keiner Weise angeschlagen, der Herr Obermeier. Und nun?
„Es gibt ein Gerücht, dass Ihnen etwas passiert sein soll,“ ergriff Ursula die Initiative.
„Angetan, du lieber Himmel, was heißt das denn?“
„Mord.“
„Kommen Sie erst mal beiseite, so etwas will hier niemand hören.“
„Aber wissen Sie etwas?“
„Ja, zum Thema Mord weiß ich etwas – Herr Mansberg!“
„Tatsächlich? Aber das stimmt nicht, ich habe ihn eben gesehen.“

„Dann hat man ihn anscheinend doch nicht verhaftet.“
„Verhaftet??“
„Verhaftet??“
Die beiden Damen wie aus einem Mund.
„Die Polizei war bei mir, fragte, ob ich etwas gehört hätte, erwähnte die Wohnung Mansberg. Daraus habe ich geschlossen …“
„Aber wer ist denn nun ermordet worden? Ist überhaupt jemand ermordet worden?“
„Keine Ahnung, vielleicht sollten Sie Frau Wenig fragen?“






Dienstag, 31. Dezember 2019

Kerstin Lange


Grasträume

Christof ist am Ende. Der Managerjob – futsch, die Freundin Sabine weg. Da hilft nur ein Urlaub im Wohnmobil. Der beginnt in der Eifel auf dem Campingplatz „Eifelglück“. Die gute Luft, die Ruhe, die netten Leute.  Aber – schon am ersten Abend stolpert er über eine Leiche. Sascha, ein netter Junge aus der Gegend. Zurzeit wohnt auch er auf dem Campingplatz. Das ist der Auftakt zu einem spannungsreichen Krimi. Der wackere Ortspolizist möchte sich Arbeit ersparen und spricht von einem Unfall. Aber Christof hat Zweifel und kann sie auch belegen, er tippt auf Mord. Warum sind die Turnschuhe des Jungen schneeweiß, wenn er doch angeblich im Schlamm ausgerutscht und gestürzt ist. Dabei soll er mit dem Kopf aufgeschlagen sein. Stimmt so nicht – Mord, behauptet Christof und bringt dabei viele Leute gegen sich auf. So dass auch er das eine oder andere Mal mit schweren Kopfschmerzen zu kämpfen hat, schon stille Eifel … Nur der Freund Kevin und seine hübsche Schwester unterstützen ihn mit Informationen, die ihm recht geben. Aber was wissen die schon von Saschas Plänen? Reich wollte er werden – mit Gras. Eine Partnerin bei dem Geschäft hatte er – aber anscheinend auch Feinde. Die nun, nach seinem Tod, auch die Partnerin bedrängen, die attraktive Gattin des Campingplatzbesitzers, Ingeborg. Christof wird Zeuge dieser Attacken und gerät selbst immer mehr in Gefahr.  Auch seine Schwester, Kriminalkommissarin in Düsseldorf, kann nichts für ihn tun. Absolut lesenswert, auch wegen der Typen, die die Kneipe des Campingplatzes bevölkern. Einer von ihnen könnte der Mörder von Sascha sein – die Auswahl ist groß.





Tb 10,00, E-Book 2,99 Euro

Montag, 23. Dezember 2019

Bernadette Calonego

Mörderischer Morgen


Tessa Griffins ist eine erfolgreiche Strafverteidigerin in einer Societät in Vancouver. Ihre Heimatstadt Whatou Lake hat sie verlassen, ihre Familie trifft sie nicht oft. Nun aber ruft sie ihr Vater zurück: Ihre Stiefschwester Fran ist verschwunden, deren Ehemann Mark und ihre drei kleinen Kinder sind tot – erschossen. Nicht in Whatou Lake, sondern hundert Kilometer entfernt in der Wildnis von Britisj Columbia. Wer könnte der Täter sein? Etwa Frau, wie Marks Familie andeutet? Oder ist es ein Grizzly-Jäger, sie werden in letzter Zeit in die Gegend gelockt. Tessa muss das klären, und sie muss die Schwester suchen. Hilfe findet sie nicht, aber alte Feindschaften leben auf- Tessa hatte vor Jahre die SIKLAT‘1 in einer Landangelegenheit gegen den Staat vertreten, einen Stamm der First Nations – wie die Kanadier die Ureinwohner bezeichnen. Eifersüchteleien, alte und neue Geheimnisse erschweren Tessas Ermittlungen, die sie mit dem Polizeidetektiv zusammenbringen. Sie verdächtigt jede und jeden, hat aber keine wirklichen Anhaltspunkte. Was hat ihre eigene Vergangenheit mit dem Häuptlingssohn mit der Sache zu tun? Hatte Fran einen Geliebten und Mittäter? Sind ihre Freunde wirklich ihre Freunde? Auch sie ist ihres Lebens nicht mehr sicher. Die Kulisse ist die unendliche Weite der Wildnis. Spannend bis zum allerletzten Satz.


Tb 9,98, E-Book 2,99 Euro

Freitag, 20. Dezember 2019

Panik im Lichteglanzi



Drei – zwei – eins – Licht!  Am Baum erstrahlen die Kerzen, große und kleine, und von den Seniorinnen und Senioren erschallt ein oh und ah. Der Direktor wünscht eine schöne Adventszeit und animiert dazu, vom Glühwein zu trinken. Die Bläser intonieren „Oh Tannebaum“ und Damen- und Männerstimmen kommen dazu. Das Singen im Singkreis lohnt sich also doch, die Töne kommen klar und fest.

Man nickt sich zu, wispert ein paar zustimmende Worte. Die Stimmung ist heiter bis besinnlich. Eben angemessen. Auch Johanna, Gerda, Susanne und Edeltraud nehmen teil.
“Was ist das denn da?“ Johanna schüttelt ihren weißen Kopf und guckt empört. Susanne blickt in dieselbe Richtung und lacht. „Kaum einen Schluck getrunken und schon beschickert.“ Nun schauen alle vier hin und schütteln einträchtig den Kopf.
Der Direktor löst sich von seinen Gesprächspartnern und eilt zu Hilfe. Keine Sekunde zu früh, eine alte Dame findet keinen Halt, torkelt weiter und droht zu stürzen, der Gehstock poltert zu Boden. Er hakt sie unter und führt die Dame hinein ins Haus. Da gibt es Sessel genug.
Kaum ist er wieder auf der großen Terrasse, deren Mittelpunkt der Baum bildet, da schießt ein Rollator an ihm vorbei, Frau Müller klammert sich verzweifelt an das Gerät, ihre Füße können nicht folgen, auch sie droht zu stürzen. Der Direktor ist inzwischen kreidebleich geworden und blickt nervös um sich. Frau Müller wird von zwei kräftigen älteren Herren aufgehalten und fürsorglich ins Haus gebracht. Was ist los?
„Der Glühwein kann nicht schuld sein, ist doch mehr Orangensaft als Wein“, bemerkt Edeltraud. Sie stellt ihr Glas aber vorsichtshalber auf einem Serviertisch ab.
„Schnell weg damit“, sagt sie. „Wer weiß, was drin ist.“ Die übrigen Drei tun es ihr gleich.
„Mir hat er nur nach Glühwein geschmeckt und ich steh‘ auch fest auf meinen Beinen“, erwidert Johanna.
„Ich auch“, kommt es von Gerda und Susanne unisono.
„Wo haben denn die Gläser gestanden, bevor man sie hier herausgebracht hat?“ fragt Johanna.
„Was willst du damit andeuten?“, fragt Edeltraud.
„Es muss doch einen Grund geben, warum so etwas …“ Johanna stockt und deutet schweigend auf einen der Bewohner, der dicht vor dem Baum steht, nein stand. Er hat hinter sich gegriffen und einen Zweig zu fassen bekommen. Die Lichter blinken hektisch, aber der Baum steht still. Der Mann sinkt zu Boden, lockere Kerzen folgen.
„Ein Notfall, ein Notarzt, zu Hilfe“, tönt es von allen Seiten. Dann Stille. Alle blicken sich um, ob etwa noch jemand zu Boden gegangen ist.
„Da, da drüben!“, Susanne hebt ihren Arm und weist in die Richtung schräg hinter dem Baum. Tatsächlich. Eine Gestalt, verkrümmt und jammernd.
„Wenn das mal keine Panik gibt …“ unkt Gerda.
Und tatsächlich – alles schiebt sich hastig in Richtung auf die Tür, die ins Haus führt.
„Schubsen Sie mich nicht!“, ertönt eine schrille Stimme.
„Weg da!“, eine andere, laut und deutlich, irgendwie brutal.
„Bitte bleiben Sie ruhig!“ Die Stimme des Direktors zittert, was nicht zur Beruhigung beiträgt.
„Es kann Ihnen doch nichts passieren. Stellen Sie die Gläser ab. Aber bitte vorsichtig, damit nichts zerbricht.“ Einer der Bewohner nimmt das Heft in die Hand, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit. Aber schon hört man das Zersplittern von Glas, das leise Knirschen unter den Schuhen. Blindlings schiebt man sich weiter, restlicher Glühwein schwappt über auf die Kleidung des Vordermannes oder der Nachbarin. Wenigstens ist er nicht mehr heiß.
Dann ertönt das erste Martinshorn, alle bleiben stehen, wie auf ein Kommando. Gott sei Dank, Hilfe naht. Noch ein Wagen, ein weiterer. Die Helfer springen heraus, Bahren werden geschultert, Rufe ertönen. Man sucht nach den Opfern. Die sitzen im Zweifel noch in der Halle, das Laufen hatte ja schon vorhin nicht geklappt.
„Bitte machen Sie doch Platz“, drängeln die Sanitäter und die Ärzte.
„Ja, wie denn?“, kreischt es erbost. Ja, wie? Ein dichter Pulk vor einer schmalen Tür.
Der Mann oder die Frau, die hinter dem Baum gelegen hatte, wird als Erste auf eine der Bahren gehoben. Niemand hatte sich um die Gestalt gekümmert. Die Sanitäter stellen die Bahren ab, unter dem Baum ist ja jetzt Platz. Behutsam schieben sie sich durch die verschreckte Menge und regeln am Eingang, wie man langsam und ruhig in die Halle kommt. Hinter ihnen der Direktor, immer noch leichenblass. Die Blaskapelle hat sich still und leise entfernt, wahrscheinlich bangen sie um ihre Instrumente.
„Bitte bleiben Sie nicht in der Halle, sondern lassen Sie uns Platz frei für unsere Arbeit.“
„Es sei denn, Sie brauchen selbst Hilfe,“ sagt ein anderer.
Das hätte er besser nicht gesagt: Schon bleiben einige stehen und scheinen sich zu befragen, wie es ihnen denn geht. Schlecht. Sie greifen nach den Sanitätern und versperren den Nachgerückten den Eingang. Manche krallen sich förmlich fest, andere haben die Hände über den Kopf geschlagen, wieder andere scheinen mit beiden Händen Magen und Darm zu befragen.

„Massenpanik im Altenheim, wäre ne gute Schlagzeile.“
„Einen seltsamen Humor hast du, liebe Susanne,“ sagt mit strenger Miene Edeltraud.
„Außerdem ist das hier kein Altenheim, sondern eine Seniorenresidenz!“, mischt sich eine Nachbarin ein, die mit den vier Damen an ihrem Platz geblieben ist. Sie rückt ihren Pelz zurecht, wirft noch einen giftigen Blick auf Susanne und geht stolz erhobenen Hauptes Richtung Eingang.
Edeltraud, Johanna, Gerda und Susanne rätseln bereits, wer da möglicherweise etwas in einige Glühweingläser geschüttet haben könnte.





Sonntag, 17. November 2019

Sechste Erkrather Kriminacht


War mal wieder bei einer Lesung, natürlich Krimis und Ähnliches. Jörg Marenski, bekannt als Autor der Düssel-Krimis drang in die Welt des Okkulten vor – geheimnisvolle Waffen bereiteten seinem Protagonisten mittelalterliche Albträume, deren Schilderung uns gruseln ließ, gemordet wurde schon immer. Ins Heitere ging die Stimmung bei Kerstin Lange, Rizin in der Bratensoße macht auch Großmäuler (mund)tot. Stefanie Hohn las vom Anfang eines neuen Lebens ohne jede Kenntnis vom bisherigen, sehr geheimnisvoll. Jo Stammer las aus seiner „Allesfresserin“ und beendete seine Lesung und damit den Abend mit einem Krimihelden im Blutrausch.Da wurde es eiskalt in der Höhle. Welche Höhle? Na, die Höhle im Neandertal, genauer gesagt im „Neanderthal No. 1“ wo Caterina Klusemann die Hausherrin ist. Meine nette Nachbarin und ich vergnügten uns bei Rotwein und Sekt und haben im Übrigen auch schon im Lauf des langen Abends gefroren – Höhlenklima eben.



Die Autoren und Ralf, fotografiert von Ralf Buchholz, dem wir die Organisation dieses Abends zu verdanken hatten



Donnerstag, 14. November 2019

Marcus Hünnebeck

Der Geisterfahrer

Ein Sonderkommando der Polizei aus Wiesbaden fährt kreuz und quer durch Deutschland auf der Spur eines Serientäters. Dessen selbst erteilter Auftrag: Den Mann töten, der seine große Liebe getötet hat. Wir begleiten den Täter und seine Verfolger mit der Hoffnung, dass die Polizisten schneller sind als der mitleidlose Mörder. Es gilt, einen weiteren Albtraum einer weiteren Familie zu verhindern: Ein maskierter Mann dringt nachts in das Haus einer Familie ein, stellt den Ehemann vor die Wahl -  entweder sich selbst als Geisterfahrer auf der Autobahn zu töten – oder die Erschießung seiner Frau und seiner Kinder zu riskieren. Wie sich die Männer entscheiden, ob es der Polizei gelingt, weitere Taten zu verhindern, das macht die Spannung in diesem Thriller aus.





Erschienen im September 2019
Tb 9,99, E-Book 2,99 Euro